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Interview mit Dr. Julian Rode (Helmholz-Zentrum für Umweltforschung)

Im Interview vom 16.02.2017 berichtet Dr. Julian Rode über Ökosystemleistungen und warum sie für den Menschen so wichtig sind.

Sie haben in Ihrem Vortrag von Ökosystemleistungen gesprochen – was genau ist das? Warum sind sie so wichtig für den Menschen? Und stehen sie uns kostenlos und grenzenlos zur Verfügung?

Ökosystemleistungen (ÖSL) sind ein wissenschaftliches Konzept, mit dem die (positiven) Einflüsse der Natur auf menschliches Wohlergehen (human well-being) dargestellt werden. Seit dem Millenium Ecosystem Assessment der UN im Jahre 2005 wurde dieses Konzept auch in der (umwelt-) politischen Debatte immer präsenter.

Mit ÖSL kann man sehr gut die positiven Effekte intakter Natur und Umwelt auf andere gesellschaftliche Ziele wie Armutsbekämpfung, Ressourcensicherheit, Wirtschaftswachstum, Gesundheit, Lebensqualität etc. aufzeigen. ÖSL stehen nicht grenzenlos zur Verfügung, denn sie werden nur insoweit geliefert wie die entsprechenden Arten, Ökosysteme und ökologischen Prozesse vorhanden sind.

So ist die Bestäubungsleistung für die Landwirtschaft von den Bienen- und Insektenpopulationen abhängig und für die Schutzleistung der Bergwälder gegen Erdrutsche dürfen diese eben nicht gerodet werden.

Oft gibt es Konflikte zwischen der Bereitstellung unterschiedlicher ÖSL. Wenn z.B. Urwald (ÖSL: CO2-Bindung, Wasserregulierung, Habitat, etc.) gerodet wird, um auf der Fläche landwirtschaftliche Produkte zu erzeugen. Diese zählen nämlich auch zu den ÖSL, da sie auf Tieren und Pflanzen und ökologischen Prozessen basieren.

Kostenlos sind viele ÖSL nur auf den ersten Blick, denn die Natur verlangt ja kein Geld. Dennoch entstehen für die Gesellschaft häufig Kosten. Das können direkte Kosten sein, wie z.B. für das Management von Schutzgebieten oder für Renaturierungsmaßnahmen, oft aber vor allem im Sinne so genannter „Opportunitätskosten“: um z.B. einen Wald, Moore oder Grünland zu schützen, darf man dort eben nicht Landwirtschaft oder Bergbau betreiben. Dadurch verzichtet man sowohl auf betriebswirtschaftliche Gewinne als auch auf volkswirtschaftliche Wertschöpfung.

Wirtschaft & Natur: Inwiefern sind Unternehmen von der Natur bzw. ihren Leistungen abhängig?

Das ist je nach Sektor sehr unterschiedlich. Einige Abhängigkeiten sind sehr direkt und leicht erkennbar: Die Landwirtschaft nutzt Tiere, Pflanzen und gesunde Böden, die Fischereiwirtschaft die Fische, die Holzwirtschaft den Wald und der Tourismus profitiert vielerorts von gesunder Natur und schönen Landschaften.

Andere Abhängigkeiten sind indirekter oder werden leichter übersehen. Über die Lieferkette sind sehr viele Hersteller und Verkäufer von Endprodukten (z.B. Nahrungsmittel, Möbel, Papier) indirekt von land- und forstwirtschaftlichen ÖSL abhängig. Obstbauern profitieren von der Bestäubungsleistung der Bienen. Eine Fabrik in einem Alpental wird durch den Bergwald vor Erdrutschen und Lawinen geschützt.

Gesunde Ökosysteme in Quellgebieten gewährleisten regelmäßigen Nachschub an sauberem Wasser, von dem auch Bier- oder Mineralwasserhersteller profitieren. So gibt es viele weitere Beispiele und jedes Unternehmen sollte seine eigenen Abhängigkeiten gut verstehen. Wenn man noch etwas breiter denkt, dann sitzen wir natürlich alle in einem Boot auf diesem Planeten und auch Unternehmen und ihre MitarbeiterInnen werden von den Folgen globaler Umweltveränderungen, wie Klimawandel und Artenverlust, betroffen sein.

Wie können sich Unternehmen konkret engagieren? Können Sie uns ein paar Good-Practice-Beispiele nennen?

Ein ganz wichtiger Startpunkt ist, dass Unternehmen ihr Verhältnis zu Umweltproblemen umfassend und objektiv verstehen wollen, in Bezug auf Abhängigkeiten, negative Einflüsse und Verbesserungspotenziale. Die glaubwürdigsten „good practice“ Unternehmen sind für mich diejenigen, die erst einmal ihre Schwächen erkennen und transparent machen, z.B. wenn sie Vorprodukte nutzen, die über die Lieferkette in anderen Ländern zur Zerstörung der Natur beitragen.

Darauf aufbauend kann man dann Schritt für Schritt versuchen, Nachhaltigkeitsbemühungen zu verstärken und sich zu verbessern. Dafür finden sich relativ leicht Partner aus der Wissenschaft und NGOs, die den Weg begleiten. So ein Prozess muss nicht unbedingt sehr teuer sein, wobei natürlich zumindest gewisse Personalressourcen nötig sind. Jede/r weiß, dass Unternehmen auch wirtschaftlichen Zwängen unterliegen.

Mit einer proaktiven Grundhaltung und langfristigem Denken kann man aber viele neue Ideen generieren, um sowohl wirtschaftlichen Zielen zu genügen als auch gleichzeitig den Schutz von Umwelt- und Natur sowie auch soziale Aspekte der Nachhaltigkeit  zu fördern. Die drei auf der Wirtschaft & Natur NÖ - Veranstaltung „Warum Erfolg auf Bäumen wächst“ vorgestellten Unternehmen (Riedler, gugler und bellaflora) halte ich für schöne „good practice“ Beispiele. In Deutschland fallen mir spontan Vaude und Bionade ein, international der Teppichhersteller Interface oder seit einigen Jahren auch Unilever.

Natürlich haben sich viele der nachhaltigen Unternehmen auf einen Nischenmarkt ökologischer Konsumentinnen- und Konsumenten ausgerichtet. Eine steigende Nachfrage nach nachhaltig produzierten Produkten und bestenfalls auch eine höhere Zahlungsbereitschaft der Kundinnen und Kunden erleichtern sicher die unternehmerischen Bemühungen.

Welche drei Tipps würden Sie einer Unternehmerin/einem Unternehmer geben, wenn er sich für mehr Engagement ihrer/seiner Firma interessieren würde?

Wie wäre es zum Beispiel mit 2 Tagen „retreat“, am besten auch mit der Führungsetage, irgendwo an einem schönen Ort in der Natur und sich gemeinsam die folgenden Fragen stellen: Welche Bedeutung haben Umwelt und Natur für uns als Personen und für unser Unternehmen? Welche Beziehungen haben wir zur Natur? Was würden wir gerne ändern und wie gehen wir es an? So etwas kann viel Energie und Kreativität freisetzen. Darauf aufbauend kann man dann einen Prozess mit weiteren Schritten angehen und auch PartnerInnen für Umsetzungen suchen.

Braucht es vielleicht auch Maßnahmen der Politik um B&B gut verbinden und umsetzen zu können? Wenn ja, welche Möglichkeiten sehen Sie hier?

Mit Sicherheit spielt die Politik eine ganz wichtige Rolle, sowohl um die Bemühungen nachhaltiger Unternehmen zu unterstützen, als auch um Umweltverschmutzung und Naturzerstörung zu verhindern. Biodiversität und viele ÖSL sind öffentliche Güter und müssen entsprechend auch vom Staat geschützt werden.

In Europa spiegelt sich das ja schon in den umfangreichen Umwelt- und Naturschutzgesetzen wieder, von denen viele andere Länder noch weit entfernt sind. Dabei ist sicher eine große Herausforderung, dass Wirtschaft heutzutage größtenteils global agiert und die politischen Strukturen schwer folgen können. Das gilt nicht nur für Umweltthemen, sondern genauso für Regelungen der Finanzströme, Informationsströme, etc. mit all ihren Problemen.

Aber es gibt natürlich auch immer wieder positive Entwicklungen und der Umwelt- und Naturschutz ist natürlich nach wie vor auf der politischen Agenda. Ich würde mir hier natürlich noch mehr Aktivität wünschen. Das kann über verschiedene rechtliche und ökonomische Instrumente passieren, z.B. weitere Ausweisung von Schutzgebieten, eine Besteuerung von Ressourcennutzung, Subventionen für nachhaltige Aktivitäten, strengere Nachweispflichten für Importunternehmen, aber auch die grundlegende Infragestellung des Wachstumsparadigmas.

Die UN Konvention für Biologische Vielfalt (CBD) hat 2010 einen strategischen Plan mit konkreten Zielen für das Jahr 2020 beschlossen, den die Mitgliedsländer umsetzen sollen, wenn auch natürlich auf freiwilliger Basis.

Sie hinterfragen, dass es eine einfache WIN-WIN Lösungen gibt. Warum? Haben Sie Beispiele?

Ganz entscheidend ist, was man unter „WIN“ für das Unternehmen überhaupt versteht. Geht es nur um direkte Gewinnsteigerung für das Unternehmen durch Umwelt- und Naturschutz (z.B. über Kostensenkung)? Bezieht man langfristige und strategische Aspekte in die Überlegung ein, wie öffentliches Image, MitarbeiterInnenmotivation,  Innovationspotenziale, zukünftige gesellschaftliche und politische Entwicklungen, etc.?

Oder denkt man auch die Unternehmensziele breiter, z.B. im Sinne der „triple bottom line“ von wirtschaftlichem Erfolg, Sozialem und Ökologie und versteht auch positive Einflüsse auf Gesellschaft und Umwelt als unternehmerische Erfolgskriterien? Je nach Interpretation und Grundhaltung ergeben sich ganz unterschiedliche Potenziale für WIN-WIN.

Herr Rode, vielen Dank für das Gespräch.